222.222 Menschen fordern ein wirksames Lieferkettengesetz

Aktivist*innen aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart übergeben mit anderen Organisationen 222.222 Unterschriften am Bundeskanzleramt

Foto: Initiative Lieferkettengesetz

Berlin, 09.09.2020. Aktivist*innen der Initiative Lieferkettengesetz übergaben heute Morgen vor dem Kanzleramt symbolisch die insgesamt über 222.222 Unterschriften, die bundesweit für die Erarbeitung eines Lieferkettengesetzes gesammelt wurden, und demonstrierten gleichzeitig gegen die erneute Verschiebung der Diskussion im Bundeskabinett. Ein Bündnis von 110 zivilgesellschaftlichen Organisationen, u.a. die Diözese Rottenburg-Stuttgart, fordern einen gesetzlichen Rahmen sowie Sanktionen für Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zu verantworten haben.

Julia Schiller, Referentin der Hauptabteilung Weltkirche, war mit dem Reversefreiwilligen Pius Tenywa und den zwei ehemaligen Weltkirchlichen Friedensdienstlern Conny Semling und Katharina Haas bei der Aktion vor dem Kanzleramt dabei. Sie demonstrierten gegen die erneute Verschiebung der Diskussion des Gesetzes im Bundeskabinett. Dass das Thema erneut verschoben werden sollte, zeigt die Brisanz. Für die deutschen Unternehmen, die vielfach in Ländern des sogenannten Globalen Südens unter oftmals unwürdigen Bedingungen für Mensch und Natur produzieren (lassen) und sich durch das mögliche Gesetz in der Bedrängnis sehen, für ihre Handlungen offiziell zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und nicht zuletzt auch Bundeswirtschaftsminister Altmaier, der sich und sein Ministerium unter massivem Druck sieht, sollte das Gesetz, wie von den Ministern Heil und Müller gefordert, tatsächlich beschlossen werden. Altmaier versucht offenbar, die Ausgestaltung der Gesetzesvorlage zu verwässern und die Diskussion hinauszuschieben.

Die Initiative Lieferkettengesetz fordert deshalb einen gesetzlichen Rahmen sowie Sanktionen für Unternehmen, die vermeidbare oder vorhersehbare Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zu verantworten haben. Unterstützt werden sie nicht zuletzt von Papst Franziskus, der sich vor einigen Tagen zu dem Thema äußerte.

Am ersten Geburtstag der Lieferketteninitiative reiste auch die kleine Delegation aus Rottenburg-Stuttgart zur Übergabe in die Hauptstadt. Katharina Haas, eine der gewählten Vertreterinnen im Rückkehrendenengagement der Weltkirchlichen Friedensdienste, beschreibt ihre Eindrücke so: „Es ist sehr spannend die unterschiedlichen Mitgliedsorganisationen der Initiative persönlich kennenzulernen und zu erleben, wie ihre jeweiligen Perspektiven und Erfahrungen in die Initiative einfließen und im Austausch miteinander stehen, um das gemeinsame Ziel einer gerechteren Lieferketten-Gesetzeslage zu erreichen.“ Oft werde die Initiative angefragt, ob mit diesem Gesetz nicht die Gefahr einhergehe, dass Unternehmen aus denjenigen Ländern abwanderten, in denen kaum die Möglichkeit bestehe, die Vorgaben ernsthaft einzuhalten. Dies könnten vor allem Länder sein, die die wirtschaftliche Unterstützung deutscher oder westlicher Unternehmen aber dringend zur Entwicklung zu benötigen scheinen. Mit dieser Frage hat sich auch Conny Semling beschäftigt, die sich nach ihrem diesjährig beendeten Freiwilligendienst im Arbeitskreis Eine Welt Politik des BDKJ Rottenburg-Stuttgart engagiert. Wie die Initiative hat auch sie eine klare Antwort gefunden. Es gehe nicht darum, dass Menschen ihre Arbeit verlieren, die sie - zugegebenermaßen - oft unter schlechten Bedingungen leisten müssen. Vielmehr solle überhaupt Raum zur Entwicklung eröffnet werden. Denn den Unternehmen werde eine angemessene Zeitspanne zur Verfügung gestellt, in der sie sich auf die veränderten Bedingungen einstellen können. Die Unternehmen seien auch im Ausland nicht ohne Einfluss, den es aber für Entwicklung zu nutzen gelte. Als Negativbeispiel dient in diesem Falle die erzwungene Niedriglohnpolitik deutscher Textilunternehmen in Bangladesch, die mit Abwanderung in noch günstigere Nachbarländer drohen.

Pius Tenywa, der gerade in Deutschland seinen Weltkirchlichen Friedensdienst absolviert und in seiner Heimat Uganda Transport und Logistik studiert, beschäftigt sich nicht nur aufgrund seiner Studien mit dieser Thematik. In Uganda würden Menschen von ihrem Grund vertrieben, damit das Land an Unternehmen verpachtet werden kann. Bekannt ist der Fall der "Neumann Kaffee Gruppe" aus Hamburg. Der Prozess um die Entschädigung der Betroffenen sei über Jahre verschleppt worden. Pius selbst sieht eine große Chance für bessere Arbeits- und Umweltbedingungen darin, Lieferketten zu verändern und zu verkürzen. Gerade für ein Land wie Uganda sei es entscheidend, dass es nicht nur Rohstoffe exportiert, sondern dass diese auch im Herstellungsland verarbeitet werden. So bliebe ein größerer Teil der Wertschöpfung im Land. Dies würde auf der einen Seite zu transparentenre Lieferketten und auf der anderen zu einem gerechteren Handel führen.

„Auch wenn es von den Verantwortlichen und Beteiligten viel Zeit, Nerven und Herzblut fordert, so ist die Initiative Lieferkettengesetz ein Beispiel dafür, wie viel zivilgesellschaftliches Engagement erreichen und nd wie viele es mitreißen kann. Und das motiviert.“, so Julia Schiller. Es brauche einen langen Atem, aber vielleicht kommt es ja möglicherweise schon heute Abend bei einem gemeinsamen Spitzentreffen der Minister Müller, Heil und Altmaier zu einem hoffentlich positiven Ergebnis für ein faires Lieferkettengesetz, das seinen Namen verdient."