Brasilien: Träume sind in Zeiten von Covid 19 überlebenswichtig

Ein „Grippchen“ bedroht die Favelas in Rio de Janeiro

Menschen in Rio de Janeiro warten auf die Ausbezahlung staatlicher Hilfen. Foto: Casa do Menor

Brasilien wird mit voller Wucht von der Covid-19-Pandemie erfasst. Stand heute sind 117.000 Menschen positiv getestet worden, 8.000 Tote werden beklagt. Am stärksten betroffen sind die Metropolen wie Sao Paulo und Rio de Janeiro. Die Krankenhäuser sind voll und das Gesundheitssystem, das in Brasilien schon unter Normalbedingungen prekär ist, kollabiert.

Das Virus verbreitete sich zunächst innerhalb der wohlhabenden Schichten, hat nun aber endgültig auch die Armen erreicht. Viele Menschen in den Favelas und auf den Straßen stehen dem Virus hilflos gegenüber: In Brasilien gibt es 70 Millionen Menschen, die auf öffentliche Subventionen angewiesen sind; 30 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu fließendem Wasser oder sanitären Einrichtungen.

Seit Beginn der Epidemie, der in Brasilien mit dem ersten Todesfall auf den 17. März datiert wird, hat die katholische Kirche Schutzmaßnahmen für Gottesdienste und andere Veranstaltungen ergriffen. Vermutlich am wichtigsten war jedoch, dass sie die soziale Isolation akzeptiert und dafür geworben hat, sie ernst zu nehmen – und für die Armen Voraussetzungen zu schaffen, dass sie sie ernst nehmen können. Während sie mit den örtlichen Gouverneuren gut zusammenarbeitet, gibt es bis heute keine Pläne der Zentralregierung. Präsident Bolsonaro tut das Virus immer noch als ein „Grippchen“ ab.

An vorderster Front steht die katholische NGO Casa do Menor, die sich seit mehr als 30 Jahren um die "Menschen von der Straße" kümmert. Die Berufsschule der Casa do Menor in dem Armenviertel Baixada Fluminense in Rio de Janeiro musste zwar letzte Woche den Unterricht aussetzen, aber die Mitarbeiter der Casa sind statt dessen durch Nothilfe-Aktionen präsent: Sie verteilen Lebensmittel, geben Hygieneutensilien wie Masken, Desinfektionsgel und Handschuhe aus und nehmen Obdachlose während der Quarantäne auf. Denn junge Menschen, deren Familien positiv auf das Virus getestet wurden, müssen in Isolation bleiben. Aus diesem Grund hat die Casa beschlossen, Räume für die Unterbringung von Menschen in Quarantäne zu öffnen. Zudem wurde ein Ort des Zuhörens für diejenigen eingerichtet, die sich aufgrund der Isolation verlassen und allein fühlen. Auch über den eigenen Radiosender "Radio Presença" sensibilisieren sie für die Pandemie und einen angemessenen Umgang mit ihr. Zielgruppe sind Pädagogen, Psychologen und andere Multiplikatoren, die der breiten Bevölkerung basale Präventionsmaßnahmen nahe bringen können und wollen. Denn die Mitarbeiter des Casa sind überzeugt: Nur wenn es gelingt, die „Grippchen“-Kultur, die von Bolsonaro und seinen Anhängern vorgelebt wird, zu bekämpfen, kann das Virus eingedämmt werden. Verharmlosen rettet keine Leben.

Mit der Schließung der Berufsschule verlieren viele junge Menschen die Aussicht, einen Arbeitsplatz zu finden. Oft sind auch ihre Eltern nun völlig ohne Einkommen. Dies ist eine Krisensituation, die sich in den kommenden Wochen noch verschärfen wird. Was wird die Zukunft bringen? Das Motto von Casa do Menor, das die christliche Hoffnung in die Lebenswelt von Jugendlichen der Favelas bringen will, ist heute so wichtig wie nie zuvor: „Kinder brauchen Liebe, ihre Grundbedürfnisse müssen erfüllt sein – und sie brauchen die Chance, träumen zu dürfen, um ihr Schicksal selbst bestimmen zu können.“

Lucy Contreras, Regionalreferentin für luso- und frankophone Länder in Lateinamerika und Afrika