Kostbares Nass

Wasser ist in Ländern des Südens zentrales Thema, auf das auch der Konsum im Norden Einfluss hat. Der Beitrag von Sylvia Hank, Referentin für Faire Gemeinde, im Heilig's Blätte der Gesamtkirchengemeinde Tübingen, beschäftigt sich mit der Bedeutung von (virtuellem) Wasser in Burkina Faso, Brasilien und Deutschland.

Foto: Alois Würstle

Rote Erde steigt in einer trockenen Staubwolke in die Höhe. Neben der riesigen Maschine in Gelb und Rostbraun steht Pater Alois und überwacht die Bohrung. Irgendwo tief unter der ausgedorrten Erde gibt es Wasser, lebensspendendes Element, das hier im brasilianischen Mato Grosso dringend gebraucht wird. Über 200 Brunnen hat Pater Alois Würstle in den abgelegenen Regionen von Campo Grande im Süden Brasiliens im Lauf vieler Jahre mit gebaut. Wasser für die Boro- und Xavante-Indigenen, die in einfachen Dörfern weit von der nächsten Stadt leben.

Trockenheit zeichnet die Gegend aus: „Mato Grosso steht in Flammen, sie haben jeden Tag um 40 Grad Hitze. Die Indigenen flehen nach Wasser“, schrieb Pater Alois in einem seiner Briefe an die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Dazu kam das Coronavirus. „Ohne Wasser ist Hygiene ja schon ein grundsätzliches Problem“, so der Salesianer Don Boscos. Mit einer finanziellen Förderung der Materialkosten hat die Diözese deshalb den Bau von fünf weiteren Brunnen in Dörfern der Boro- und Xavante-Indigenen unterstützt.

Das Virus und die weltweite Pandemie machen wie unter einem Brennglas noch einmal dramatisch deutlich, wie wichtig sauberes und sicheres Wasser für das menschliche Überleben ist. Weltweit haben 2,2 Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser, nach einer Studie der UN-Gesundheitsorganisation WHO verfügen rund 785 Millionen Menschen noch nicht einmal über eine Grundversorgung. Das ist nicht nur in Zeiten einer Pandemie fatal: Jedes Jahr sterben weltweit rund 360.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall, weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben. Der Klimawandel mit zunehmenden Trockenperioden, aber auch Abholzung von Wäldern, zu intensive Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und sinkende Grundwasserspiegel sind nur einige der Herausforderungen.

Wasser ist auch in den Städten ein zentrales Thema: In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, zieht es die Menschen vom Land in die urbanen Zentren. Die Hauptstadt Ouagadougou hat inzwischen rund zwei Millionen Einwohner, viele von ihnen arme Landflüchtlinge, die in informellen Siedlungen am Stadtrand leben. Im Süden der Hauptstadt, in Tengandogo, entstand 2019 eine neue Pfarrei für die rund 20.000 Christinnen und Christen in diesem Stadtteil. Die Gemeinde liegt in einem armen Außenbezirk, eine Wasserversorgung gibt es nicht. „Das Ausheben eines Brunnens ist deshalb ein Notfall vor allen anderen Infrastrukturprojekten“, so der Pallottiner Pater Stanislas Filipek. „Wasser dient den Gläubigen zum Aufbau und für neues Leben“, schrieb er in seinem Antrag für dieses Projekt an die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Die neue Gemeinde in Tengandogo liegt auf einem Hügel, es musste also bis zu 100 Meter tief gegraben werden. Eine Pumpe, die mit Solarenergie betrieben wird, fördert das wertvolle Nass aus der Tiefe. Vorsorglich haben die Pallottiner entsprechende Tanks mit eingeplant, die auch in Zeiten größerer Nachfrage, wenn der Brunnen nicht genügend Wasser bieten kann, einen Vorrat als Reserve bereit halten.  So ist der Grundstein für neues Leben in der Pfarrei gelegt: Pater Stanislas Filipek plant nun weitere Aktivitäten zu Bildung oder Gesundheit, wo der Bedarf entsprechend groß ist. Der neue Brunnen soll darüber hinaus nicht nur den Gemeindemitgliedern der eigenen Pfarrei dienen, sondern auch den Menschen in der Umgebung.

Pater Alois und Pater Filipek sind mit ihren Brunnen zwei hoffnungsvolle Beispiele aus weltkirchlichen Projekten der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Wasser ist aber nicht nur weit weg in Brasilien und Burkina Faso ein Thema, sondern hat auch sehr direkt etwas mit unserem Lebensstil zu tun: So sind beispielsweise für die Produktion von einem Kilo Baumwolle rund 20.000 Liter Wasser notwendig. Oder: Chemikalien für hier getragene Lederschuhe verschmutzen die Flüsse um die Gerbereien in Indien. In Produkten für den Konsum hier bei uns steckt dieses „virtuelle Wasser“, das unsichtbar für uns auf dem Weg der Herstellung in Ländern des globalen Südens mit verbraucht wird. Umdenken und gute Ideen in Nord und Süd sind also notwendig, um Wasser für alle Menschen auch künftig zu sichern.

Zu den guten Ideen für eine erfrischende Zukunft gehören neue Konzepte für die Mikrobewässerung in der Landwirtschaft, Anlagen zur Wasseraufbereitung, kluge Wasserspeicher, sanitäre Einrichtungen und moderne Wasserleitungen, aus denen das kostbare Nass nicht einfach im Boden versickert. Pater Alois Würstle, der im Herbst 1957 und nach dem Noviziat im Kloster Ensdorf nach Brasilien ging, hat neben den vielen Brunnen und Bauprojekten eben solch eine gute, innovative Idee verwirklicht: Er ist der Erfinder der sogenannten Schaukelpumpe, die von der Banco do Brasil als Soziale Technik gewürdigt und gemeinnützig anerkannt wurde. Statt mühsamer Handarbeit können die Kinder beim Schaukeln Wasser aus den tiefen Brunnen pumpen, so dass sie ganz spielerisch zu wichtigen Helfern in der Dorfgemeinschaft werden.

Zum Originalbeitrag im Heilig`s Blättle