„Über Massengräbern lässt sich kein Friede aufbauen.“ Berliner missio-Tagung zu Gegenwart und Zukunft der Demokratischen Republik Kongo

60.000 Unterschriften zu einer Petition „Saubere Handys“ hat missio-Präsident Dirk Bingener dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vertreten durch Ministerialdirigent Stefan Oswald, am Montag, 25. November 2019, in der Katholischen Akademie in Berlin überreicht. Mit diesem Appell leistet missio einen Beitrag dazu, dass der Zusammenhang zwischen dem Abbau von Konfliktmineralien für die Herstellung elektronischer Geräte und der systematischen sexuellen Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Demokratischen Republik Kongo stärker ins öffentliche Bewusstsein kommt und die Bundesregierung ihrer Mitverantwortung für ein Ende dieser Menschenrechtskatastrophe nachkommt.

Bei dem Ministeriumsvertreter stieß der Appell auf offene Ohren. Das Schicksal des Kongo sei sein Reichtum an Bodenschätzen, und diejenigen, die davon illegal profitieren wollten, sei „überproportional“ hoch – eine harmlose Formulierung angesichts der unvorstellbaren Gewalt, mit der die Warlords in ihrer Gier nach kostengünstigem Abbau von Kobalt, Coltan, Zinn, Gold u. a. die Bevölkerung seit Jahrzehnten terrorisieren und einzelne Menschenleben ebenso wie ganze Familien und gesellschaftliche Strukturen zerstören. Einig waren sich die Politikvertreter auf der Tagung „Demokratie in der Krise? Situation und Perspektiven in der DR Kongo“ anlässlich des 20-Jahre-Jubiläums „Aktion Schutzengel“ von missio, moderiert von der ZDF-Journalistin Gundula Gause, darin, dass Europas Politik einen Paradigmenwechsel in ihrem Blick auf Afrika vollziehen müsse. Aus dem „Elendskontinent“ müsse ein „Chancenkontinent“ werden. Ein „Marschallplan mit Afrika“ müsse mit vertrauenswürdigen Regierungen des Schwarzen Kontinents Reformpartnerschaften entwickeln, bei denen faire Wirtschaftsbeziehungen Hand in Hand gehen mit der Wahrung von Menschenrechten und namhaften Investitionen in Schul- und Berufsbildung. Einen starken Anteil der Rechtsstaatsarbeit an der Entwicklungszusammenarbeit der EU mit afrikanischen Ländern betonte Bernd Lange MdEP, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament. In den in die Demokratische Republik zwischen 2018 und 2020 investierten 706 Mio. Euro Fördermittel sei ein Viertel für diesen Bereich vorgesehen. Ein EU-Gesetz zur überprüfbaren Verbindlichkeit fairer Handelsketten durch europäische Käufer von Rohstoffen und zum Schutz gegen „Blutmineralien“ solle bis 2021 in Kraft treten.

Ob das ausreicht, daran waren auch Zweifel zu hören – nicht nur wegen des langen Zeitraums, sondern auch wegen der starken Präsenz von Akteuren wie China, in deren Fokus vieles andere als die Wahrung von Menschenrechten steht.

Man müsse nach Jahrzehnten der Militarisierung des Kongo und nach einer endlosen Aufeinanderfolge von Kriegen die Stimme der Zivilbevölkerung zu Wort kommen lassen und Instrumente für eine Legitimierung politischer Macht entwickeln, sonst bleibe man bei einer Behandlung von Symptomen, forderte Boniface Mabanza, aus dem Kongo stammender Mitarbeiter der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg. Übereinstimmung gab es zwischen ihm,  Térèse Mema Mapenzi und dem letztjährigen Friedensnobelpreisträger und Gynäkologen Denis Mukwege, dass der Skandal der Straffreiheit für die Täter der systematischen Menschenrechtsverbrechen vor allem an Frauen und Mädchen im Kongo durch eine internationale Strafgerichtsgerichtsbarkeit beendet werden und eine schonungslose Aufarbeitung geleistet werden müsse. „Über Massengräbern lässt sich kein Friede aufbauen“, sagte Mukwege. Einig waren sie auch darin, dass die Weltöffentlichkeit umfassend über diese Verbrechen aufgeklärt werden und aktive Solidarität mit den Opfern entwickeln und dass die Zivilgesellschaft im Kongo selbst gestärkt werden müsse. Und nicht zuletzt: dass der Lebensstil der Menschen in der nordwestlichen Hemisphäre sich umfassend ändern müsse, solle das Treiben der Verbrecher und das Leiden der Opfer ein Ende finden.

Die Schilderungen und Beispiele von Térèse Mema und Denis Mukwege am Tag und in einer Abendveranstaltung in der Berliner Charité – beide aktiv in der medizinischen Behandlung von Misshandlungsopfern und in der psychosozialen Traumaarbeit - untermauerten die analytischen Reflexionen der Tagung mit einem Realitätsbild der kaum vorstellbaren Grausamkeiten im Osten der Demokratischen Republik Kongo, das wohl niemanden ohne Erschütterung zurückgelassen hat.

Dr. Thomas Broch

 

Die Würde des Menschen muss zu ihrem Recht kommen.

Experten diskutieren auf der internationalen Kongo-Konferenz von missio über Wege aus der Menschenrechtskrise

 

Eine Recycling-Aktion der Deutschen Telekom AG für nicht mehr verwendete Handys hat Cornelia Syszkowitz von der Abteilung Nachhaltigkeit des Kommunikationsunternehmens bei der internationalen Konferenz am 25./26. November 2019 vorgestellt, zu der sich zu dem Thema „Demokratisierung in der Krise? Situation und Perspektiven in der DR Kongo“ über 80 Gäste aus Deutschland, dem Kongo und anderen Ländern in der Katholischen Akademie in Berlin eingefunden hatten.

Szyszkowitz sprach auch über die Offenheit ihres Unternehmens, künftig vollständig auf faire Handys mit transparenten, konfliktfreien Produktions- und Lieferketten zu setzen. Das Engagement der jungen Generation für Klimagerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung z. B. bei „Fridays for Future“, das sie lobend herausstellte, lasse schon aus Gründen der ökonomischen Vernunft gar keine andere Wahl. Allerdings sei derzeit die Bereitschaft zu solchen Entwicklungen in der breiten Öffentlichkeit noch wenig zu erkennen; nur zehn Prozent der ausgedienten Handys kämen zum Recycling. Im Übrigen sei der beste Umweltschutz, die Geräte länger zu nutzen.

In der Sicht des Zusammenhangs zwischen dem noch weiter extrem sich steigernden Bedarf an Rohstoffen für die Digitaltechnik und den bewaffneten Kämpfen um die Claims, den unvorstellbaren Leiden der Bevölkerung, vor allem der Frauen und Kinder, oder der Zerstörung des tropischen Regenwalds im Osten des Kongo, dem Hauptlieferanten auf dem Weltmarkt, war sich die große Runde der Referentinnen und Referenten einig, auch darin, dass diese Katastrophe ein Ende finden und die Würde der Menschen dort zu ihrem Recht kommen müsse. Die Wege allerdings wurden kontrovers diskutiert. An der Entwicklung digitaler Algorithmen, die eine Transparenz der Produktions- und Lieferketten ermögliche, werde gearbeitet, sagte Ferdinand Maubrey, Managing Director Upstream der Firma RCS-Global. Das sei die Grundlage für eine Kooperation mit zertifizierten Bergbau-Unternehmen, und die Abnehmer etwa in der deutschen Auto-Industrie könnten sich nicht mehr darauf berufen, keine Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen oder die Korruption an Stellen zu haben, in die sie keinen Einblick hätten.

Technologische Unterstützung sei gut und notwendig, aber sie ersetze nicht die Durchsetzung guten Regierungshandels in der Herkunftsländern der Blutmineralien, die Beendigung der Korruption, die Durchsetzung von Gewinninteressen mit Waffen und sexueller Gewalt, die organisierte Kriminalität, entgegneten Referenten und Diskussionspartner wie P. Ferdinand Muhirgirwa SJ von der Université Loyola du Congo,  Donatien Nshola, Generalsekretär der Kongolesischen Bischofskonferenz, P. Justin Nkuzi SJ von Justice et Paix Bukavu, Reinhard Voß von der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungshilfe, Léonard Santédi, Rektor der Université Catholique du Congo oder Bali Barume von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover und Bukavu. Dazu bedürfe es der engen Zusammenarbeit zwischen der Kirche, nationalen und internationalen sozialen Organisationen und vor allem mutigen Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft im Kongo wie Térèse Mema und Denis Mukwege, um auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Wahrheit Befriedung und Versöhnung zu ermöglichen. Bei den oft demoralisierten Menschen sei eine umfassende und konsequente Friedenserziehung notwendig. Es bedürfe dazu mutiger Investoren aus Europa im Kongo, um vor Ort faire Produktionsbedingungen durchzusetzen, es bedürfe der Bereitschaft der verarbeitenden Industrie, nicht die Augen aus Gründen der Gewinnmaximierung zu verschließen. Und nicht zuletzt bedürfe es der Bereitschaft der Konsumenten hierzulande, durch eine Veränderung des Konsumverhaltens zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Kongo beizutragen. Immer wieder kam deren Marktmacht aufgrund eines informierten und bewussten Verhaltens zur Sprache.

Äußerst mühsam ist die Durchsetzung internationaler Regeln in den Wirtschaftsbeziehungen und in der Entwicklungszusammenarbeit. Das machte Sörgen Dengg, Leiter des Referats Energie, Infrastruktur, Rohstoffe im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deutlich, der das Zustandekommen der EU-Richtlinien für faire Lieferketten schilderte, die 2021 in Kraft treten und 2023 überprüft werden sollen. Sie enthalten bislang nicht einmal Maßgaben für den Handel mit Kobalt und Lithium, die mit zunehmender Digitalisierung und Elektromobilität zu den am meisten benötigten Rohstoffen gehören werden. Angesichts der Kompetenzfragen zwischen den deutschen Ministerien und den Abstimmungsproblemen innerhalb der EU scheint europäische Politik ein zahnloser Tiger zu sein – vor allem angesichts des Investitions-Giganten China auf dem afrikanischen Kontinent.

Wie schwierig die Balance zwischen Menschenrechtsfragen und wirtschaftlichen Erwägungen ist, wurde an der Frage deutlich, ob die Intransparenz kleiner Bergbaubetriebe in Sachen menschenwürdige Produktionsbedingungen die Konzentration auf große industrielle Unternehmen rechtfertige. Die Größe, so die Erkenntnis, sei noch keine Garantie gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen. Und die bewaffnete Sicherung durch Milizen schließe nicht automatisch die Bereitschaft zur Zertifizierung aus. In den kleinen Bergbaubetrieben seien etwa sieben Millionen Menschen tätig. Ihre Lebensgrundlagen müssten erhalten und ihre Lebensumstände verbessert werden. Deshalb sei eine wenn auch noch so mühsame Zusammenarbeit mit diesen Kleinunternehmen und ihre Unterstützung bei der Verbesserung der dortigen Verhältnisse zum Wohle der darin Arbeitenden der richtige Weg.

Dr. Thomas Broch