Zu einer „Ökonomie des Lebens“ finden – aber wie? Kontroverse Diskussionen beim Ökumenischen Strategietag 2021.

Das Thema „Ökonomie des Lebens“ stand im Zentrum des (digitalen) Strategietags am 21. Januar 2021 der Ökumenischen Koordination in Baden-Württemberg, in der die evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg sowie die katholischen (Erz-)Diözesen Freiburg und Rottenburg ihr Vorgehen in Fragen der internationalen kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit abstimmen.

Die diesjährige Veranstaltung öffnete zugleich den Ausblick auf die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), der unter dem Leitwort „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ im Sommer 2022 in Karlsruhe stattfindet.

Corona beherrscht die Welt. Und die Pandemie macht wie im Brennglas die globalen Ungerechtigkeiten sichtbar und verschärft sie zugleich. Die aus Manila stammende Referentin Athena Peralta, derzeit beim ÖRK in Genf, brachte dies mit den Worten von Tagelöhnern in ihrer Heimat, den Philippinen, zum Ausdruck: „Dieses Virus lässt uns verhungern, bevor wir krank werden.“

Einige Stichworte: Während 2020 500 Millionen Menschen hungerten und 270 Millionen in extremer Armut lebten, stieg das Vermögen der Milliardäre um 28 Prozent auf 10,2 Billionen US-Dollar. In hoch verschuldeten armen Ländern des Südens ist der Kampf gegen das Virus ungleich schwieriger als in den Ländern des Nordens. Das betrifft besonders Menschen, die unter Vorerkrankungen leiden, unter deplorablen Wohnverhältnissen, unter extrem verschmutzter Umwelt; die keinen Zugang zu sauberem Wasser oder gar zu Medikamenten haben. Es verschärft die ohnehin bestehenden Benachteiligungen der Frauen und ebenso der Bevölkerungsgruppen, die aus rassistischen Gründen am Rande der Gesellschaften stehen – etwa in den USA, in Brasilien, aber keineswegs nur dort. Die Gründe sind vielfältig und miteinander verflochten – eine globalisierte neoliberale Wirtschaftspolitik und der Klimawandel sind nur zwei Aspekte darin.

Was tun? Unter dem Stichwort einer „Ökonomie des Lebens“, der „Sorge um das gemeinsame Haus“ (Papst Franziskus), nannte Athena Peralta einige Punkte: Schuldenerlass für die armen Länder, finanzielle Mittel zum Aufbau von Resilienz, Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens, Zugang zu erschwinglichen Impfstoffen, Grundeinkommen und nicht zuletzt deutliche steuerliche Abgaben auf Vermögen, auf Erbschaften, auf CO2-Emissionen … Öffentliche Güter müssten der Privatisierung und Kommerzialisierung entzogen werden. Von Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitsrat der UN forderte sie ein koordiniertes Handeln in globalem Maßstab.

Dass unter den Bedingungen einer globalisierten imperialen Lebensweise Veränderungen überhaupt möglich seien, stellte Markus Büker, Referent für theologische Grundsatzfragen bei MISEREOR, in Frage. Die Fortsetzung der jetzigen Lebensweise v. a. in den Ländern des Nordens stehe in diametralem Widerspruch zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es sei deutlich: je weiter oben Länder auf der Skala der menschlichen Entwicklung, dem Human Development Index, stünden, desto höher seien ihr Ressourcenverbrauch und ihre Umwelt- und Klimabelastung; umgekehrt gehe von Ländern mit niedriger Entwicklung die geringste Belastung aus. Fazit: Nachhaltige Entwicklung gibt es nirgendwo auf der Welt zusammen mit humaner Entwicklung. Mit Berufung auf die von der Amazonas-Synode geforderte soziale, ökologische, kulturelle und pastorale Umkehr forderte Büker daher einen grundlegenden „Wechsel der Narrative“. Leider sie die Kirche viel mehr mit ihren Strukturen als mit einer „Strategiedebatte“ beschäftigt und spiele unter den primären Akteuren einer sozial-ökologischen Umkehr keine Rolle.

Sven Giegold, Attac-Gründer und Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament, widersprach dagegen entschieden der Forderung eines „Systembruchs“. Die Dringlichkeit der globalen Bedrohung, besonders durch den Klimawandel, gebiete es jetzt und mit aller Radikalität zu handeln. Das aber sei nur möglich innerhalb der bestehenden Systemvoraussetzungen. Wer sich jetzt in Diskussionen um grundlegende Systemveränderungen verliere, verpasse den Zeitpunkt, überhaupt noch etwas zu verändern . Der Green Deal, die Vermittlung von Ökologie und Ökonomie, sei kein „grün gewaschener Kapitalismus“, wie in der Diskussion gesagt wurde, sondern die große Chance, die Pariser Klimaziele noch zu erreichen. Ökologischer Fortschritt sei möglich, aber nur zusammen mit sozialem Fortschritt und ökonomischen Erfolg, so Giegold. Es gelte, eine Koalition der Willigen zu schaffen, den Schulterschluss mit Unternehmen zu suchen, die für Klimaschutz offen sind, die Kirchen herauszufordern, ihre Beharrungstendenz zu verlassen und ihr gesellschaftliches Gewicht für ein wirksames Handeln einzusetzen. Die Frage „Wo wollen wir hin?“, also Visionen und neue Narrative, sei wichtig, betonte Giegold; vorrangig aber sei derzeit die Frage „Was machen wir hier und jetzt?“, also der Impuls zu radikalem Handeln.

Dr. Thomas Broch

Hinweis: Die Videos dieses Strategietages können Sie im YouTube-Kanal der Evangelischen Landeskirche Baden einsehen.